Deutscher Kaiser

Der Deutsche Kaiser war von 1871 bis 1918 das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches. Grundlage war Artikel 11 der Verfassung des Deutschen Bundes vom 1. Januar 1871 sowie daraufhin der Bismarckschen Reichsverfassung vom 16. April 1871. Die ältere Bezeichnung für den Funktionsträger in der Verfassung des Norddeutschen Bundes lautete „Präsidium des Bundes“ oder „Bundespräsidium“. Die Verfassungsnorm behielt diese ältere Bezeichnung bei, die in der Praxis jedoch völlig hinter dem Kaisertitel zurücktrat. In der Zeit des deutschen Kaiserreichs gab es drei Amtsträger: Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II.

Großes Wappen des Deutschen Kaisers bis 1918

Das Präsidium des Bundes und damit der Titel „Deutscher Kaiser“ stand laut Verfassung ausschließlich dem König von Preußen zu. Die zwei unterschiedlichen Ämter wurden also nicht in bloßer Personalunion, sondern in Realunion durch den preußischen Monarchen ausgeübt. Der Deutsche Kaiser war kein Alleinherrscher, auch wenn ein Amtsträger wie Wilhelm II. sich dies gern als „Persönliches Regiment“ vorstellte.

Mit Blick auf die deutsche Regierung hatte der Kaiser seine Rolle im Rahmen der konstitutionellen Monarchie. Er ernannte den Bundeskanzler bzw. den Reichskanzler, den einzigen verantwortlichen Minister, die Exekutive. Allerdings wurden alle Amtshandlungen des Kaisers erst wirksam, nachdem der Kanzler sie gegengezeichnet hat. Seit 1878 konnte auch ein Staatssekretär die Unterschrift leisten.

Berliner Schloss, Hauptresidenz des Deutschen Kaisers bis 1918

Die Gesetzgebung war Aufgabe des Bundesrats und des demokratisch gewählten Reichstags. Der Reichstag wurde vom Kaiser formell einberufen und aufgelöst; genauer gesagt löste der Bundesrat den Reichstag mit Zustimmung des Kaisers auf.

Angesichts der drohenden Niederlage im Ersten Weltkrieg kam es im Herbst 1918 zu den Oktoberreformen. Sie sahen eine formell abgesicherte Parlamentarisierung des Regierungssystems vor: Der Reichskanzler war von da an nicht mehr dem Deutschen Kaiser, sondern dem Reichstag verantwortlich.

Dennoch machte US-Präsident Woodrow Wilson einen Thronverzicht Wilhelms II. indirekt zur Vorbedingung für die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen. Um günstigere Friedensbedingungen zu erwirken und einer Radikalisierung der inzwischen ausgebrochenen Novemberrevolution vorzubeugen, verkündete Reichskanzler Max von Baden am 9. November 1918 eigenmächtig die Abdankung des Kaisers und des Kronprinzen Wilhelm. Am folgenden Tag ging Wilhelm II. ins Exil in die Niederlande, formell verzichtete er erst am 28. November 1918 auf seine Titel und Rechte.

Bezeichnung

Unterschiede zwischen dem Kaisertum im Heiligen Römischen Reich und im Deutschen Reich

Kartenvergleich
Das Heilige Römische Reich unter den späten Staufer-Kaisern
Das Deutsche Kaiserreich

Staatsrechtlich entstand der Titel deutscher Kaiser erst mit der Deutschen Reichsgründung 1871. Die Kaiser des bis 1806 bestehenden Heiligen Römischen Reiches verstanden und bezeichneten sich als römische Kaiser.[1] Das Kaisertum unterschied sich wesentlich von dem des Deutschen Reiches: Während die preußisch-deutsche Kaiserinstitution national codiert war, folgte die kaiserliche Herrschaft im Heiligen Römischen Reich einem universalen Anspruch. Die deutschen Kaiser gehörten der Hohenzollern-Dynastie an und waren Könige von Preußen. Im Heiligen Römischen Reich trugen dagegen zwischen 1440 und 1806 – von einer Ausnahme abgesehen – Habsburger die Kaiserkrone.[2] Im Deutschen Reich existierte ein Erbkaisertum, das heißt die Thronfolge war in männlicher Linie dynastisch geregelt. Im Heiligen Römischen Reich wählten hingegen die Kurfürsten den Kaiser.[3] Das Heilige Römische Reich war auch in territorialer Hinsicht ein andersartiges Gebilde als das Deutsche Kaiserreich.[4] Es umfasste neben dem Gebiet des späteren Deutschlands zeitweise auch Regionen, die heute zu Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, der Schweiz, Liechtenstein, Österreich, Tschechien, Slowenien, Norditalien, Frankreich und Polen gehören. Der Herrschaftsanspruch der Kaiser wurde seit dem 12. Jahrhundert mit ihrer Heiligkeit verknüpft und leitete daraus eine Oberhoheit über alle anderen Könige ab. Ein ähnlicher Hegemonieanspruch über andere Völker wurde im Deutschen Kaiserreich zunächst vermieden: Reichskanzler Otto von Bismarck sprach in dem Sinne von einer Saturiertheit, das heißt das Deutsche Kaiserreich sollte als ein mit dem Status quo zufriedener und nicht gebietshungriger Staat erscheinen.[5] In der Wilhelminischen Zeit stellte die Politik das Streben nach imperialistischer Weltgeltung jedoch in die Tradition der staufischen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches.[6]

Konzeption der Kaiserherrschaft als Fortsetzung des Heiligen Römischen Reiches und Preußens

Literarisch und bildlich wurde die Kaiserherrschaft von Beginn an als Fortsetzung des Heiligen Römischen Reiches konzipiert. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler führt dies auf das Bedürfnis zurück, „dem nüchternen Beamten- und Militärstaat Preußen etwas geschichtlichen Glanz zu verleihen“.[7] Immerhin konnte die kleindeutsche Einheit unter Ausschluss Österreichs an kein historisches Vorbild anknüpfen.[8]

Reiterstandbilder von Wilhelm I. (links) und der Stauferkaiser Friedrich I. (rechts) auf dem Vorplatz der Kaiserpfalz Goslar

Entsprechend großen Wert wurde seit 1871 auf eine „Wiedergeburt“ des hochmittelalterlichen Kaisertums der Ottonen, Salier und Staufer gelegt. Die spätmittelalterliche Zeit der habsburgischen Kaiser wurde als Phase des Niedergangs abgewertet.[9] Das Kaiserhaus selbst nahm Einfluss auf solche historischen Narrative, indem es Denkmäler und Bilder in den Dienst seiner Selbstdarstellung stellte. Eine besondere Rolle spielte dabei eine Verherrlichung der deutschen Einigungskriege und früherer preußischer Waffenerfolge. Der Kunsthistoriker Matthias Eberle führt diese visuelle Inszenierung darauf zurück, dass die Hohenzollern im Vergleich zu anderen Dynastien eine weniger weit zurückreichende bedeutende Tradition vorweisen konnten. Erst seit dem späten 17. Jahrhundert und 18. Jahrhundert spielten sie eine politisch wichtigere Rolle in Europa. In den Worten von Eberle bemühten sich die Hohenzollern-Kaiser daher darum, „ihr Handeln in der Vergangenheit so darzustellen, als sei es immer schon auf die Einheit der Deutschen ausgerichtet gewesen: Preußen und Deutschland sollten als ein- und dasselbe wahrgenommen werden.“[10]

Vorgeschichte

Wandlungen der Kaiseridee nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches

Zeitgenössischen Karikatur zur Ablehnung der Kaiserwürde 1849 (symbolisiert durch die Reichskrone): Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. macht seine Entscheidung vom Abzählen seiner Uniformknöpfe abhängig: „Soll ich? – Soll ich nich? – Soll ich?! Knöppe, ihr wollt! nu jerade nich!!“

Der Rückbezug auf ein weiter zurückreichendes „deutsches“ Kaisertum hatte seine Wurzeln in der politischen Situation Anfang des 19. Jahrhunderts: Der Untergang des Heiligen Römischen Reiches, die französische Vorherrschaft unter Napoleon und die zunehmend kritisierte deutsche Kleinstaaterei begünstigte den Wunsch nach einem nationale Einheit stiftenden Kaisertum.[11]

Vor einem nationalen Hintergrund spielten im gesamten 19. Jahrhundert verschiedene Konzepte von Reich und Kaisertum eine zentrale Rolle. Einen Konsens über die ideale politische Form des deutschen Kaisertums gab es dabei nicht. Ein romantisches Konzept befürwortete eine Wiederanknüpfung an die Kaiserherrschaft des Heiligen Römischen Reiches. Demnach sollte der künftige Kaiser theokratisch legitimiert sein und eine Oberhoheit über mehrere Nationen ausüben. In dieser Tradition stand zunächst auch die sogenannte Kyffhäusersage, wonach der mittelalterliche Stauferkaiser Friedrich I. wieder auferstehen werde, um erneut über sein Reich zu herrschen.[12] Eine Restauration der 1806 verschwundenen „deutschen“ Kaiserherrschaft wurde Anfang des 19. Jahrhunderts unter anderem von Persönlichkeiten wie dem Publizisten und Historiker Ernst Moritz Arndt, dem preußischen Staatsreformer Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein, dem Kulturphilosophen Friedrich Schlegel und dem Dichter Friedrich Rückert beworben. In den Revolutionen 1848/1849 erfuhr der Kaisergedanke teilweise eine Umdeutung. Das Kaisertum sollte demnach die Macht eines neuen geeinten deutschen Nationalstaates verkörpern und sicherstellen.[13] Im Unterschied zur Reichsgründung 1871 sah die 1849 verabschiedete Paulskirchenverfassung für das Reichsoberhaupt nicht den Titel eines deutschen Kaisers, sondern noch eines Kaisers der Deutschen vor. Die Bezeichnung bezog sich damit dezidiert demokratisch auf das deutsche Volk und unterstrich eine Volkssouveränität.[14] Der von der Frankfurter Nationalversammlung zum Kaiser gewählte preußische König Friedrich Wilhelm IV. lehnte die Würde mit dem Hinweis auf ihren revolutionären Ursprung ab. Gegenüber seinem diplomatischen Gesandten in London, Christian Carl von Bunsen, bekannte er schon vorab im Dezember 1848 brieflich: „Soll die tausendjährige Krone deutscher Nation, die 42 Jahre geruht hat, wieder einmal vergeben werden, so bin ich es und meinesgleichen, die sie vergeben werden“.[15]

Schaffung des Titels während des Deutsch-Französischen Krieges

Etwa zwei Jahrzehnte später, während des Deutsch-Französischen Krieges 1870, bestanden bei der Errichtung eines deutschen Kaisertums andere politische Konstellationen. Seit 1867 existierte mit dem Norddeutschen Bund nördlich der Mainlinie ein Staatenzusammenschluss unter preußischer Führung. Nicht gewählte Parlamentsabgeordnete wie 1849, sondern fürstliche Regierungen handelten nun einen Beitritt der süddeutschen Staaten zum Norddeutschen Bund aus.[16]

Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten

Die preußische Führung plante König Wilhelm I. zum Oberhaupt eines deutschen Nationalstaates zu erheben. Dabei rechnete sie damit, dass die süddeutschen Fürsten eher bereit seien, einen deutschen Kaiser als einen preußischen König anzuerkennen. Erstens knüpfte der Kaisertitel an die Tradition des Heiligen Römischen Reiches an und zweitens konnte Wilhelm I. nur als Kaiser einen Rang über den Königen von Bayern, Württemberg und Sachsen einnehmen.[14] Der Kaisertitel versprach insbesondere Ressentiments abzufedern: Schließlich galt der Süden des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches als traditionell kaisernah. Die Region wurde von den staufischen und später habsburgischen Kaisern dominiert. In Nordostdeutschland, insbesondere am preußischen Hof und im nationalliberalen Lager wurde das künftige Kaisertum dagegen als ein neuartiges Konstrukt wahrgenommen, das keine Bezüge zur kaiserlichen Herrscherwürde des Heiligen Römischen Reiches betonen sollte.[17]

Die langandauernde Verhandlungen des Bundeskanzlers Otto von Bismarck mit den süddeutschen Regierungen hatten schließlich Erfolg, auch wenn er einige Zugeständnisse machen musste. In den Novemberverträgen verpflichteten sich die süddeutschen Staaten, einem Deutschen Bund (so die offizielle Bezeichnung) beizutreten. Im Gegenzug behielten sie ihre Selbstverwaltung im Post-, Telegraphen- und Bahnwesen. Der bayerische König blieb in Friedenszeiten Oberbefehlshaber der Armee seines Landes.[18] Für eine zügige Erhebung Wilhelms zum deutschen Kaiser gab es auch einen innenpolitischen Grund: Die preußische Regierung war an einer Etatbewilligung durch den Reichstag interessiert. Wilhelms Rangaufwertung versprach die notwendige Unterstützung im Parlament sicherzustellen.[19]

Im November 1870 gelang es Bismarck auch, dem bayerischen König, Ludwig II., das Zugeständnis abzuringen, Wilhelm I., brieflich um die Annahme einer Kaiserwürde zu bitten. Dieser sogenannte Kaiserbrief war von Bismarck vorformuliert und empfahl „die Wiederherstellung eines deutschen Reiches und der deutschen Kaiserwürde“. Die schon in der Verfassung des Norddeutschen Bundes angelegten präsidialen Rechte sollten nun mit einem Kaisertitel zusammengeführt werden.[20]

Vom Bundesprasidium zum Kaisertitel und Fortbestehen des präsidialen Amtes

Wilhelm I. fungierte als Bundespräsidium des Norddeutschen Bundes.[21] Die national denkende Öffentlichkeit sah in dieser Amtsbezeichnung eine unpassende sprachliche Anlehnung an den 1866 aufgelösten Deutschen Bund, dem sie laut dem Historiker Eckart Conze eine „nationale Schwäche“ und „partikularstaatliche Zersplitterung“ zuschrieben. Das Kaisertum schien dagegen aus Sicht der Zeitgenossen geeigneter für die Repräsentation eines mächtigen deutschen Nationalstaates zu sein.[22]

König Wilhelm I. gedachte zwar, als Reichsmonarch an die Spitze des deutschen Nationalstaates zu treten, haderte aber mit einem möglichen Kaisertitel.[23] Dieser Würde wollte er erst zustimmen, wenn sie ihm von allen deutschen Fürsten angetragen werden würde. So empörte sich der Monarch zunächst über den Kaiserbrief. Erst nachdem er in einem Telegramm erfuhr, dass die deutschen Fürsten insgesamt eine solche Rangerhöhung befürworten würden, konnte mit den Vorbereitungen für eine Kaiserproklamation begonnen werden.[24]

Am 10. Dezember 1870 stimmte der Reichstag für den Vorschlag, in der neuen Verfassung statt des Begriffes Präsidium des Bundes den Titel Deutscher Kaiser einzuführen. Der Deutsche Bund wurde in dem gleichen Akt zum späteren „Deutschen Reich“ erklärt. Die Verfassung trat formal aber erst am 1. Januar 1871 in Kraft.[25] Das Bundespräsidium erhielt in Artikel 11 zusätzlich den Titel „Deutscher Kaiser“. In der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 kam die neue Bezeichnung an die meisten Stellen, die noch vom „Bundespräsidium“ bzw. „Bundesfeldherrn“ gesprochen hatten.[26] Der deutsche Kaiser blieb formal das Präsidium des sogenannten Bundesrates, also der Vertretung der deutschen Gliedstaaten. Diese Stellung war verfassungsrechtlich ein Problem, wie der Rechtshistoriker Paul Laband ausdrückte: Der deutsche Kaiser könne „nicht Beamter sein wie der Präsident einer Republik, weil er Mitsouverän ist, und er kann nicht Monarch sein, weil er nicht alleiniger Souverän ist.“[27] Folglich nahm, so die Einschätzung des Historikers Christopher Clark, der deutsche Kaiser unter den Bundesfürsten formal lediglich die Stellung des „Primus inter pares“, also des Ersten unter Gleichen ein. Seine Oberhoheit war offiziell zu Gunsten einer föderalen Staatsordnung beziehungsweise der im Bundesrat vertretenen Mitgliedsstaaten beschränkt.[28]

Einrichtung des Kaisertitels und seine Stellung

Verfassungsrechtliche Stellung seit 1871

Das Kaisertum (oben links) als Verfassungselement

Das Kaiseramt war gemäß Artikel 11 der Verfassung in Personalunion mit dem des Königs von Preußen verbunden. Auf diese Weise sollte im offenen Widerspruch zum föderalen Prinzip eine preußische Vorherrschaft in Deutschland sichergestellt werden. Die Kaiser verfügten über weitreichende exekutive Vorrechte. Nach Artikel 53 und 63 hatte der Kaiser den Oberbefehl über Armee und Marine inne. Er konnte gemäß Artikel 15 den Reichskanzler ernennen und entlassen, wodurch er den Regierungskurs vorgeben konnte. Zusammen mit dem Bundesrat entschied der Kaiser nach Artikel 11 über Kriegserklärungen und Friedensschlüsse. Die Macht des Kaisers war jedoch nicht unumschränkt. So war laut Artikel 17 dieser bei dem Erlass von Verordnungen und Verfügungen auf die Gegenzeichnung des Reichskanzlers angewiesen. Zu den legislativen Befugnissen des Kaisers gehörte nach Artikel 12 die Einberufung oder Auflösung von Bundesrat und Reichstag. Für eine Schließung des Reichstages benötigte der Kaiser gemäß Artikel 24 die Zustimmung des Bundesrates.[29]

Der Kaiser gab Gesetze öffentlich bekannt und sollte in letzter Instanz für deren Umsetzung sorgen. Außerdem durfte er gemäß Artikel 68 regional einen Ausnahmezustand ausrufen. Verfassungsrechtlich nicht geregelt war, mit wem sich der Kaiser beriet. Während Kaiser Wilhelm I. sich hauptsächlich mit dem Reichskanzler Otto von Bismarck abstimmte, vertraute Kaiser Wilhelm II. eher auf Berater aus seinem persönlichen Umfeld.[30] Der deutsche Kaiser war ein konstitutioneller Monarch und das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches. Er war jedoch nur ein wichtiges Staatsorganen neben drei weiteren: dem Bundesrat, dem Reichstag als nationales Parlament und dem Reichskanzler.[30]

Anders als andere Verfassungen der Zeit nannte die deutsche den Monarchen nicht ausdrücklich „unverletzlich“. Man wandte allerdings die preußischen Regelungen entsprechend an, so dass der Kaiser auch nicht vor ein Strafgericht gestellt werden konnte. Der Reichskanzler übernahm die politische Verantwortung mit Blick auf das Parlament.[31] Das Reichsheer und die Kaiserliche Marine standen zu aller Zeit, Frieden wie auch Krieg, unter dem Befehl des Kaisers. Für Kommandoakte galt die Ministerverantwortlichkeit bzw. Gegenzeichnungspflicht nicht, da der Kaiser dafür in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber agierte.[32][33]

Die Bundesverfassung kannte keinen Verfassungseid des Präsidiums bzw. später des Kaisers. Dennoch legten Friedrich III. und Wilhelm II. anstandslos und freiwillig jeweils ein Reichsverfassungsgelöbnis vor dem Reichstag ab. Einen Eid kannten sie aus der preußischen Verfassung. In Preußen hätte die Verweigerung des Eides eine schwere Krise ausgelöst, denn der König hätte dann seine königlichen Rechte nicht ausüben können. Er wäre dennoch König gewesen und folglich Inhaber des Bundespräsidiums. Die Bindungen aus der Bundesverfassung galten für den Kaiser überhaupt bereits durch Annahme des Amtes, nicht erst durch eine Eidesleistung.[34]

Symbolische Annahme des Titels

Dritte Fassung des Gemäldes Die Proklamierung des deutschen Kaiserreiches (18. Januar 1871) von Anton von Werner, 1885

Zunächst gab es Überlegungen, die symbolische Annahme einer deutschen Kaiserwürde mit einer Krönung zu begehen, ähnlich wie die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Städte wie Berlin, Frankfurt und Aachen warben darum die feierliche Zeremonie auszutragen. Das Vorhaben wurde kontrovers diskutiert. So meinte der sozialdemokratische Politiker Karl Liebknecht polemisch, der Gendarmenmarkt in Berlin sei die geeignete Kulisse einer Krönung, „denn dieses Kaisertum kann in der Tat nur durch Gendarmen aufrecht erhalten werden“. Er spielte damit auf die kriegerische Einigung durch Blut und Eisen an. Statt einer sakralen Herrscherweihe fand am 18. Januar 1871 eine Proklamation, also eine Ausrufung zum Kaiser durch Fürsten und Militärs statt. Die Zeremonie wurde noch während des Deutsch-Französisch Krieges im Spiegelsaal von Schloss Versailles bei Paris vollzogen.[35]

Wilhelm I. selbst erkannte den Umstand, dass er qua Verfassung rechtlich schon seit dem 1. Januar 1871 deutscher Kaiser war, nicht an. Den Tag der Kaiserproklamation setzte er bewusst auf den 18. Januar 1871 fest. Der Termin genau 170 Jahre nach der Königskrönung Friedrichs I. sollte die Reichsgründung als weitere Aufwertung der preußischen Hohenzollerndynastie erscheinen lassen. Eine Delegation des Reichstages, die Wilhelm am 16. Dezember 1870 um Annahme des Kaisertitels bat, ließ er zwei Tage warten. Auf diese Weise wollte er den Eindruck einer demokratischen Begründung seiner Kaiserherrschaft vermeiden.[36]

Wilhelms Rangerhöhung zum deutschen Kaiser ging ein Streit zwischen dem preußischen König und dem Ministerpräsidenten voraus. Wilhelm verlangte zum Kaiser von Deutschland proklamiert zu werden. Der Titel sollte seinen künftigen Herrschaftsanspruch auch in den nicht-preußischen Bundesstaaten bekräftigen. Bismarck fürchtete, dass ein solches Signal die deutsche Einheit noch gefährden würde. Der bayerische Landtag hatte einem Beitritt zu dem deutschen Nationalstaat noch nicht zugestimmt. Darüber hinaus wollte Bismarck keine Widerstände durch die Könige von Württemberg und Bayern provozieren. Nur mit der Einwilligung in zahlreiche Sonderrechte war es ihm überhaupt gelungen, die starken süddeutschen Vorbehalte gegen ein von Preußen geführtes Deutschland abzuschwächen. Bismarck plädierte daher für den Titel deutscher Kaiser.[37]

Wilhelm wollte davon jedoch nichts wissen. Noch am 17. Januar 1871, einen Tag vor der Kaiserausrufung, brach er die Vorplanung des symbolischen Aktes ab. Der Großherzog von Baden rief ihn schließlich im Schloss Versailles bei Paris zu Kaiser Wilhelm aus und umging so die ungelöste Frage, ob Wilhelm als deutscher Kaiser oder Kaiser von Deutschland dem Reich vorstand.[38]

Wilhelm selbst stufte die Angelegenheit als bloße „Titelaffaire“ ein.[39] Gleichwohl schätzte er seinen kaiserlichen Titel wenig. So teilte er seiner Frau Augusta in einem Brief mit, dass es ihm Qualen bereite, „den preußischen Titel verdrängt zu sehen“.[40] Der Historiker Christoph Nonn vermutet hinter solchen Äußerungen berechtigte Befürchtungen des Kaisers. Der sich vor allem mit Preußen identifizierende Wilhelm habe vorausgesehen, dass sein Königreich langfristig in Deutschland aufgehen würde.[41] Wilhelm wollte so zunächst auch den preußischen Königstitel dem deutschen Kaisertitel vorangestellt sehen, verstand aber, dass dadurch Süddeutschland verärgert worden wäre. Zudem sprach gegen einen Titel „Kaiser von Deutschland“, dass der verfassungsmäßige Name des nationalen Gesamtstaates „Deutsches Reich“ und nicht „Deutschland“ war.[42]

Eine eigene deutsche Kaiserkrone wurde nie angefertigt. Bei den Eröffnungen des deutschen Reichstages im Berliner Schloss wurden dementsprechend nur die preußischen Insignien präsentiert.[43] Der spätere Kaiser Friedrich III. ließ zwar in Wien anfragen, ob die Reichskleinodien den Hohenzollern überlassen werden könnten. Die Österreicher lehnten das Ansinnen jedoch ab.[44] Den monarchisch-kaiserlichen Charakter des Reiches betonten insbesondere die Reichstagseröffnungen: Die gewählten Parlamentsvertreter wurden in den Palast zitiert – anders als in Großbritannien: Dort begab und begibt sich der König ins Unterhaus zu den Abgeordneten.[45]

Amtsträger

Die drei Träger des Titels, Kaiser Wilhelm I., Friedrich III. und Wilhelm II., waren die Könige von Preußen. Wilhelm I. war bereits seit 1858 Regent für seinen erkrankten Bruder und seit 1861 preußischer König. Seit dem 1. Juli 1867 war er Inhaber des Bundespräsidiums, seit dem 1. Januar 1871 zugleich Kaiser. Er starb am 9. März 1888 mit 90 Jahren.

Sein Sohn Friedrich III. wurde sogleich neuer preußischer König und deutscher Kaiser. Der 57-Jährige war jedoch gesundheitlich angeschlagen: Da er seit seiner Jugend ein starker Raucher war, erkrankte er schwer an Kehlkopfkrebs. Noch kurz vor seinem Herrschaftsantritt wurde ein Luftröhrenschnitt vorgenommen. Die Operation bannte die akute Gefahr des Erstickens, nahm dem Monarchen aber seine Stimme. Friedrich III. erhielt daher im Volksmund den Beinamen „stiller Kaiser“. Es war abzusehen, dass seine Herrschaft nur ein kurzes Intermezzo sein würde. Nichtsdestotrotz plante Friedrich III. mehrere Reformen. Er wollte die föderalen Beschränkungen der Regierung und des Reichstages überwinden und weigerte sich zunächst auch, die Sozialistengesetze zu verlängern. Letzteres veranlasste Reichskanzler Bismarck dazu, mit dem Rücktritt seiner Regierung zu drohen. Der Kaiser fügte sich daraufhin.[46] Friedrich III. beanspruchte zwar Vetorechte für sein Amt. Nach Einschätzung des Historikers Oliver Haardt war der „todgeweihte Kaiser“ jedoch in einer ähnlich schwachen Position wie ein Präsident, „der am Ende seiner Amtszeit steht und nicht zur Wiederwahl antreten darf oder will.“[47] Friedrich III. starb nach nur 99 Tagen im Amt. Ihm folgte sein 29-jähriger Sohn als Wilhelm II. So amtierten im „Dreikaiserjahr“ 1888 alle drei Kaiser, die es in der Geschichte des Kaiserreichs gegeben hat.

Weitere Entwicklungen des Kaisertums bis zum Ersten Weltkrieg

Trotz einer bis 1918 fast unverändert gültig bleibenden Reichsverfassung schwankte die Machtstellung des deutschen Kaisers stark. Der Reichskanzler war immer dann besonders auf eine Stützung durch den Kaiser angewiesen, wenn Mehrheiten im Reichstag gegen seine Politik opponierten. Dies schwächte Bismarck beispielsweise in den Jahren zwischen 1881 bis 1886 sowie 1890. Stand der Reichstag dagegen mehrheitlich auf der Seite des Reichskanzlers musste dieser weniger Rücksicht auf den Kaiser nehmen.[48] Außerdem erweiterte eine generelle Zentralisierung des Regierungssystems faktisch die legislativen und exekutiven Befugnisse des Kaiseramtes.[49]

Es ist umstritten, ab wann die deutsche Kaiser die Stellung eines Reichsmonarchen einnahmen. Laut Christopher Clark blieb Wilhelm I. „im Grunde bis zu seinem Tod […] preußischer König“. Erst Wilhelm II., sein Enkel, habe sich als nationaler Monarch inszeniert.[50] Dieser Bewertung widerspricht Frederik Frank Sterkenburgh. Er argumentiert, dass der damalige deutsche Nationalismus sich stark auf dynastisch-föderale Traditionen stützte. Da sich in Wilhelms Verständnis die deutsche Nation aus der Summe ihrer Gliedstaaten und einzelnen fürstlichen Repräsentanten zusammengesetzt habe, sei es für ihn kein Widerspruch gewesen, sowohl als Verkörperung Preußens als auch Deutschlands aufzutreten.[51] Daher hält Sterkenburgh die Interpretation von Wilhelm als „Erzpreuße“, den das nationale Modell überfordert habe, für eine nachträgliche Fehldeutung aus den 1890er Jahren.[52] Nach Einschätzung von Jan Markert stand Wilhelm persönlich dem deutschen Nationalismus fern: Für ihn sei die Nationalbewegung lediglich ein „Mittel zum Zweck des Machterhalts“ gewesen.[53] Wilhelm sei sich jedoch „des politischen Gewichts seiner neuen gesamtdeutschen Stellung bewusst“ gewesen. Obwohl er qua Reichsverfassung unter den deutschen Bundesfürsten formal nur als Erster unter Gleichen vorgesehen war, sei er faktisch in die „Rolle eines Reichsmonarchen“ geschlüpft.[54]

Ende des Kaisertums 1918

Entwicklung bis zum 9. November

Reichskanzler Max von Baden auf dem Weg zum Reichstag, Oktober 1918

Die politische und juristische Verantwortung wurde erst im Oktober 1918 eine parlamentarische: In den letzten knapp zwei Wochen des Kaiserreichs musste ein Kanzler zurücktreten, wenn der Reichstag ihm das Misstrauen aussprach. Kaiser Wilhelm II. hatte sich am 29. Oktober 1918 ins deutsche Hauptquartier ins belgische Spa begeben. Während es in der Heimat politisch gärte, sah er seine wichtigste Unterstützung in der Armeeführung. Mittlerweile war Reichskanzler Prinz Max von Baden in das Lager derjenigen übergetreten, die eine Abdankung zur Beruhigung des unzufriedenen Volkes befürworteten.

Das Kabinett in Berlin diskutierte am 31. Oktober über die Vor- und Nachteile einer Abdankung des Kaisers. Sie müsse jedenfalls offiziell „freiwillig“ erfolgen. Allerdings war sowohl die politische als auch die militärische Führung innerlich zerstritten über diese Frage. Die Generäle Paul von Hindenburg und Wilhelm Groener von der Obersten Heeresleitung bestärkten den Kaiser in Spa, nicht abzudanken. Die Söhne Wilhelms wiederum hatten ihrem Vater versprochen, keine Regentschaft zu übernehmen.[55]

Bald darauf, am 3. November, brach in Kiel die Revolution aus. Am 7. November forderte die SPD, die bereits an der Reichsleitung beteiligt war, den Thronverzicht des Kaisers und des Kronprinzen am folgenden Tag. Max machte daraufhin sein Abschiedsgesuch bekannt und setzte sich und den Kaiser damit unter Druck: Ein Kanzler im Sinne der Obersten Heeresleitung hätte zur Revolution geführt, ein Kanzler der bürgerlichen Mitte hätte keine Reichstagsmehrheit gehabt, ein Sozialdemokrat hätte ohne Abdankung des Kaisers nicht zur Verfügung gestanden. Aus Verantwortungsgefühl akzeptierten die Sozialdemokraten einen Kompromiss, indem sie die Abdankung erst für den 9. November forderten.[56]

Der Reichskanzler bemühte sich weiter um die Abdankung, eine Forderung, der sich auch die Linksliberalen und die Zentrumspartei anschlossen. Die Oberste Heeresleitung unterstützte Wilhelm zunächst bei seinem Plan, an der Spitze des Heeres die beginnende Revolution in Deutschland niederzuschlagen. Doch am 8. November erkannte sie, dass dies aussichtslos wäre.[57] Am Vormittag des 9. November bekam Wilhelm zu hören, dass die Kommandeure nicht mehr hinter ihm stünden.

Idee der Teilabdankung

Wilhelm entwickelte zusammen mit Graf Schulenburg den Plan einer Teilabdankung. Nach streng konservativer Auffassung besaß die preußische Krone eine alte Tradition. Das deutsche Kaisertum existierte hingegen sowieso nur aufgrund der Reichsverfassung und stellte eine geradezu republikanische Präsidialfunktion dar. Wilhelm wollte als Kaiser, nicht aber als König zurücktreten. Nach einigem Zögern ließ Wilhelm seine Absicht fernmündlich der Reichskanzlei in Berlin mitteilen (ca. 14:00 Uhr des 9. November).[58]

Allerdings fehlte damit noch die eigentliche Abdankung. Außerdem sah die Verfassung keine Trennung beider Ämter vor. In einem Regentschaftsplan von Ende Oktober hatte Reichskanzler Max gedacht, dass ein dreiköpfiger Regentschaftsrat in Preußen eingesetzt werden könnte. Dafür wäre ein verfassungsänderndes Gesetz in Preußen, aber nicht auf Reichsebene nötig gewesen. Der Regentschaftsrat hätte dann automatisch auch die Präsidialbefugnisse auf Reichsebene übernommen.[59]

Eine Teilabdankung hätte auf Reichsebene die Einsetzung eines Reichsverwesers erfordert, wofür die Zustimmung von Reichstag und Bundesrat erforderlich gewesen wäre. Eine solche Zustimmung war mehr als fraglich. Obendrein richtete sich der Volkszorn gegen Wilhelm als Kaiser ebenso wie gegen ihn als König. Auch auf das feindliche Ausland hätte eine Teilabdankung wie eine Provokation gewirkt.[60]

Pressemitteilung und Regentschaftsplan

Die Mitteilungen aus Spa über Wilhelms Bereitschaft abzudanken waren undeutlich. Dennoch hatte der Reichskanzler den Eindruck gewonnen, dass die volle Abdankungserklärung bald folge und dass nur noch die Frage der richtigen Formulierung die Sache verzögere. Weil der Aufstand in Berlin direkt bevorstand, wollte der Reichskanzler nicht länger warten. Gegen 12 Uhr mittags gab die Reichskanzlei an die Presse, dass der Kaiser und König ebenso wie der Kronprinz auf den Thron verzichte – obwohl Letzterer in den Mitteilungen aus Spa gar nicht erwähnt worden war. Fragwürdig war auch die Ankündigung Max von Badens, er werde einem Regenten die Ernennung des MSPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert zum Reichskanzler vorschlagen, und dass eine Nationalversammlung über die künftige Staatsform entscheiden werde.[61]

An die Einsetzung von Regenten oder Reichsverwesern war nicht mehr zu denken. Um den drohenden Bürgerkrieg zu verhindern, wollte Max die Reichskanzlerschaft Ebert direkt übertragen. Dazu musste die Abdankung des Kaisers bereits feststehen, was die Eile miterklärt. Ebert nahm die Reichskanzlerschaft an. Max stellte noch die Frage nach einer Regentschaft. Ebert lehnte ab, dafür sei es zu spät. Max’ Mitarbeiter hatten dazu geraten, vor Übertragung der Kanzlerschaft die Einsetzung eines Reichsverwesers zu verlangen, der die monarchischen Rechte ausgeübt hätte. Max setzte sich aber nicht nachdrücklich dafür ein, weil ihm die Autorisation Wilhelms fehlte. So konnte ein Vakuum entstehen: Ohne Stellvertretung war die kaiserliche Gewalt dem Zugriff der Revolutionäre ausgeliefert.[62]

Ernst Rudolf Huber kritisiert daran, dass Max bereits die Verfassung gebrochen habe: erstens durch die eigenmächtige Veröffentlichung einer angeblichen Abdankung, zweitens durch die Übertragung des Reichskanzleramts. Max hätte, nachdem er für eine Lücke an der Spitze des Reichs gesorgt hatte, diese Lücke auch schließen müssen. Er hätte sich nicht plötzlich auf eine fehlende Autorisation berufen sollen, sondern sich dazu bekennen müssen, dass er eine Regentschaft oder Reichsverweserschaft inzwischen für undurchführbar hielt.[63]

Flucht und Abdankung

Wilhelm am belgisch-niederländischen Grenzübergang Eysden, 10. November 1918

Gegen 14:00 Uhr kam in der Reichskanzlei die Mitteilung aus Spa an, dass Wilhelm eine Teilabdankung beabsichtige. Erst jetzt informierte Berlin ihn darüber, dass bereits die Vollabdankung verkündet worden war. Etwa gleichzeitig rief Philipp Scheidemann von der MSPD ein Hoch auf die Republik aus. Ebert war darüber empört, weil erst eine Nationalversammlung die Frage der Staatsform entscheiden solle; nun erst bedrängte Ebert den Prinzen Max, Reichsverweser zu werden. Doch Max lehnte ab, und überhaupt war die Revolution bereits zu weit fortgeschritten.[64]

In Spa war man über Max’ Eigenmächtigkeit empört. Wilhelm wollte einen förmlichen Protest gegen die Abdankungserklärung einlegen. Hindenburg riet Wilhelm dagegen, die Krone niederzulegen und in die neutralen Niederlande abzureisen. Wilhelm ließ sich auch überreden, dass der Protest nicht öffentlich sein solle. Durch dieses Schweigen nahm er den verkündeten Thronverzicht hin. Die Oberste Heeresleitung war damals wohl schon dazu bereit, mit den Revolutionären in Berlin zusammenzuwirken.[65]

Am 10. November 1918 gegen sieben Uhr morgens überschritt Wilhelm die Grenze zu den Niederlanden, wo er sein Exil fand und schließlich 1941 starb. Die längste Zeit lebte er auf Haus Doorn, das heute ein Museum ist. Anhänger wie Gegner der Monarchie verurteilten Wilhelms Abreise als Fahnenflucht. Huber: „Erst dieser Akt besiegelte das Ende der preußisch-deutschen Monarchie.“[66]

Wilhelm unterschrieb am 28. November 1918 die Erklärung seiner Abdankung, wobei er die Beamten und Soldaten vom Treueeid entband. Der Kronprinz folgte am 1. Dezember mit einer eigenen Erklärung. Damit war die Monarchie auch formell beendet.[67] Die Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 hob schließlich öffentlich-rechtliche Vorteile durch Geburt oder Stand auf (Art. 109) und damit die Privilegien des Adels, einschließlich der Besetzung von staatlichen Funktionen.

Literatur und Film

Einzelnachweise

  1. Bernd Schneidmüller: Die Kaiser des Mittelalters. Von Karl dem Großen bis Maximilian I. (= Beck’sche Reihe. C. H. Beck Wissen 2398). 3., verbesserte Auflage. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-53598-7, S. 8.
  2. Bernd Schneidmüller: Die Kaiser des Mittelalters. Von Karl dem Großen bis Maximilian I. (= Beck’sche Reihe. C. H. Beck Wissen 2398). 3., verbesserte Auflage. Beck, München 2012, ISBN 978-3-406-53598-7, S. 117, 119.
  3. Hermann Hiery: Deutschland als Kaiserreich. Der Staat Bismarcks - Ein Überblick Marix Verlag, Wiesbaden 2021, ISBN 978-3-7374-1167-7, S. 86.
  4. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen. Rowohlt Berlin, Berlin 2009, S. 57.
  5. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen. Rowohlt Berlin, Berlin 2009, S. 58.
  6. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen. Rowohlt Berlin, Berlin 2009, S. 61–65.
  7. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen. Rowohlt Berlin, Berlin 2009, S. 58.
  8. Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen. Rowohlt Berlin, Berlin 2009, S. 57.
  9. Anselm Doering-Manteuffel: Die deutsche Frage und das europäische Staatensystem 1815–1871 (= Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 15). 2. Auflage. Oldenbourg, München 2001, S. 55.
  10. Matthias Eberle: Im Spiegel der Geschichte. Realistische Historienmalerei in Westeuropa 1830–1900. Hirmer, München 2017. ISBN 978-3-7774-2798-0, S. 365–366.
  11. Knut Görich: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-59823-4, S. 13.
  12. Rudolf Speth: Nation und Revolution. Politische Mythen im 19. Jahrhundert. Springer, Wiesbaden 2000, S. 226.
  13. Rudolf Speth: Nation und Revolution. Politische Mythen im 19. Jahrhundert. Springer, Wiesbaden 2000, S. 227.
  14. a b Volker Sellin: Politik und Gesellschaft. Abhandlungen zur europäischen Geschichte. Oldenbourg, München 2015, ISBN 978-3-11-036335-7, S. 425.
  15. Dieter Hein: Die Revolution von 1848/49. 5., durchgesehene Auflage. Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-45119-5, S. 122.
  16. Eckart Conze: Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe. dtv, München 2020, ISBN 978-3-423-28256-7, S. 85.
  17. Wolfgang Neugebauer: Die Hohenzollern. 2 Bd: Dynastie im säkularen Wandel. Von 1740 bis in das 20. Jahrhundert. Kohlhammer, Stuttgart 2003, S. 162.
  18. Eberhard Kolb: Bismarck. Beck, München 2014, S. 92.
  19. Otto Pflanze: Bismarck. Der Reichsgründer. Beck, München 1997, S. 434. Siehe auch: Klaus-Jürgen Bremm: 70/71 Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen. Theiss, Darmstadt 2019, S. 226.
  20. Eckart Conze: Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe. dtv, München 2020, ISBN 978-3-423-28256-7, S. 86.
  21. Eckart Conze: Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe. dtv, München 2020, ISBN 978-3-423-28256-7, S. 86.
  22. Eckart Conze: Schatten des Kaiserreichs. Die Reichsgründung von 1871 und ihr schwieriges Erbe. dtv, München 2020, ISBN 978-3-423-28256-7, S. 89.
  23. Susanne Bauer, Jan Markert: Eine „Titelaffaire“ oder „mehr Schein als Wirklichkeit“. Wilhelm I., Augusta und die Kaiserfrage 1870/71, in: Ulrich Lappenküper/Maik Ohnezeit (Hrsg.), 1870/71. Reichsgründung in Versailles. (Friedrichsruher Ausstellungen Bd. 8) Friedrichsruh 2021, S. 70–76, hier: S. 70–71.
  24. Robert-Tarek Fischer: Wilhelm I. Vom preußischen König zum ersten Deutschen Kaiser. Böhlau, Köln 2020, ISBN 978-3-412-51926-1, S. 263–264.
  25. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reichs bis zum Untergang der Weimarer Republik. Beck, München 2000, S. 815–816.
  26. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 3: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 750/751.
  27. Eberhard Straub: Eine kleine Geschichte Preußens. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011, S. 165.
  28. Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947. Pantheon, München 2008, S. 670.
  29. Oliver F. R. Haardt: The Kaiser in the Federal State. 1871–1918. German History Vol. 34, No. 4, S. 529–554, hier S. 535.
  30. a b Jens Jäger: Das vernetzte Kaiserreich. Die Anfänge von Modernisierung und Globalisierung in Deutschland. Reclam, Stuttgart 2020, ISBN 978-3-15-011304-2, S. 27.
  31. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 3: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 815.
  32. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 3: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 1003.
  33. Wilhelm Deist: Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr. In: ders.: Militär, Staat und Gesellschaft. Verlag Oldenbourg, München 1991, ISBN 3-486-55920-6 (broschiert), ISBN 3-486-55919-2 (Gewebe), S. 2.
  34. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 3: Bismarck und das Reich. 3. Auflage, W. Kohlhammer, Stuttgart 1988, S. 809 f., 1012 f.
  35. Mario Kramp: Pracht - Plunder - Propaganda. Zum Mythos von Krone und Reich In: Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa Darmstadt 2020, S. 490–495, hier S. 493.
  36. Susanne Bauer, Jan Markert: Eine „Titelaffaire“ oder „mehr Schein als Wirklichkeit“. Wilhelm I., Augusta und die Kaiserfrage 1870/71, in: Ulrich Lappenküper/Maik Ohnezeit (Hrsg.), 1870/71. Reichsgründung in Versailles. (Friedrichsruher Ausstellungen Bd. 8) Friedrichsruh 2021, S. 70–76, hier S. 73.
  37. Christoph Nonn: 12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreichs, 1871–1918. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75569-9, S. 27.
  38. Christoph Nonn: 12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreichs, 1871–1918. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75569-9, S. 28.
  39. Jan Markert: Vom König zum Kaiser. Die Reichsgründung – ein monarchiehistorischer Prozess, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Weltmacht auf Abruf. Nation, Staat und Verfassung des Deutschen Kaiserreichs (1867–1918) Baden-Baden 2023, S. 921–930, hier S. 927.
  40. Robert-Tarek Fischer: Wilhelm I. Vom preußischen König zum ersten Deutschen Kaiser. Böhlau, Köln 2020, ISBN 978-3-412-51926-1, S. 265.
  41. Christoph Nonn: 12 Tage und ein halbes Jahrhundert. Eine Geschichte des deutschen Kaiserreichs, 1871–1918. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75569-9, S. 27.
  42. Rudolf Weber-Fas: Epochen deutscher Staatlichkeit. Vom Reich der Franken bis zur Bundesrepublik. W. Kohlhammer, Stuttgart 2006, S. 134.
  43. Wolfgang Neugebauer: Die Hohenzollern. 2 Bd: Dynastie im säkularen Wandel. Von 1740 bis in das 20. Jahrhundert. Kohlhammer, Stuttgart 2003, S. 162.
  44. Mario Kramp: Pracht - Plunder - Propaganda. Zum Mythos von Krone und Reich In: Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich Barbarossa, Darmstadt 2020, S. 490–495, hier S. 493.
  45. Christopher Clark: Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, S. 55.
  46. Oliver Haardt: Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreichs. Darmstadt 2020, S. 281–282.
  47. Oliver Haardt: Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreichs. Darmstadt 2020, S. 284–285.
  48. Christopher Clark: Wilhelm II. Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2008, S. 54–55.
  49. Oliver Haardt: Bismarcks ewiger Bund. Eine neue Geschichte des Deutschen Kaiserreichs. Theiss, Darmstadt 2020, S. 298.
  50. Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947. Pantheon, München 2008, ISBN 978-3-421-05392-3, S. 671–672.
  51. Frederik Frank Sterkenburgh: William I and monarchical rule in Imperial Germany, University of Warwick 2017, Dissertation, S. 122–123.
  52. Frederik Frank Sterkenburgh: William I and monarchical rule in Imperial Germany, University of Warwick 2017, Dissertation, S. 191 f.
  53. Jan Markert: „Wer Deutschland regieren will, muß es sich erobern“. Das Kaiserreich als monarchisches Projekt Wilhelms I. In: Andreas Braune/Michael Dreyer/Markus Lang/Ulrich Lappenküper (Hrsg.), Einigkeit und Recht, doch Freiheit? Das Deutsche Kaiserreich in der Demokratiegeschichte und Erinnerungskultur. (Weimarer Schriften zur Republik Bd. 17), Franz-Steiner Verlag, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-515-13150-6, S. 11–37, hier S. 25 f.
  54. Jan Markert: Vom König zum Kaiser. Die Reichsgründung – ein monarchiehistorischer Prozess, in: Rüdiger Voigt (Hrsg.), Weltmacht auf Abruf. Nation, Staat und Verfassung des Deutschen Kaiserreichs (1867–1918) Baden-Baden 2023, S. 921–930, hier S. 928.
  55. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart [u. a.] 1978, S. 656–658.
  56. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 661–663.
  57. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 669.
  58. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 680f.
  59. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 631.
  60. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 682.
  61. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 684.
  62. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 688/689.
  63. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 689.
  64. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 691 f.
  65. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 699.
  66. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 702.
  67. Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789. Band 5: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung: 1914–1919. W. Kohlhammer, Stuttgart 1978, S. 706.